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Luzie Libero und der süße Onkel

Luzie und ihr Lieblingsonkel sind beste Freund_innen – bis des Onkels neuer Freund dazwischenkommt. Von Luzies Eifersucht und ihrem Umgang mit ihr handelt dieses Bilderbuch und bricht dabei ganz entspannt mit gängigen Normen.

„Jetzt werde ich den ganzen Tag nur mit Tommy zusammen sein. Den Kindergarten kann ich vergessen“ (S. 5) beschließt Luzie, als ihr Lieblingsonkel von seinen Reisen zurückkehrt. Das geht zwar nicht, aber Tommy und sie haben trotzdem eine Menge Spaß zusammen, während ihre Eltern im Urlaub sind: Musik hören, ins Kino gehen, tot sein spielen, die Oper besuchen… Bis eines Tages Tommys neuer Freund Günther in der Küche sitzt und ab jetzt bei allem dabei ist. Das passt Luzie überhaupt nicht. Günther ist langweilig, kommt aus Waldwimmersbach und zieht Tommys Aufmerksamkeit von ihr ab. Erst als Tommy krank wird und Günther und sie ihre gemeinsame Liebe zum Fußball entdecken, kommt es zu einer Annäherung.

Die wenigen mir bekannten Kinderbücher, in denen nicht-heterosexuelle Protagonist_innen vorkommen, lassen sich leicht in zwei Kategorien einteilen: diejenigen, die sich lediglich auf dieses eine Thema konzentrieren, ansonsten aber hegemoniale Bilder von Geschlecht, Familie und Gesellschaft reproduzieren. Hierbei ist Homosexualität oder nicht-genderkonformes Verhalten das große Trotzdem: Obwohl Tango zwei „Papas“ hat, sind sie trotzdem eine „richtige Familie“. Obwohl die Erzählerin kein Rosa mag, ist sie trotzdem ein „richtiges Mädchen“. Obwohl der Prinz sich in den anderen Prinz verliebt, haben sie trotzdem eine „richtige Hochzeit“, bleiben sie für immer zusammen und sind Herrscher einer Monarchie.

Die anderen Bücher sind jene, die in dem Bemühen, auch wirklich jede Ungleichheitskategorie zu thematisieren, leider häufig das (Vor)Lesevergnügen schmälern. Wenn die dicke Mami mit der Mama im Rollstuhl zusammen mit ihrem Schwarzen Kind gleichzeitig Chanukka, Weihnachten und Zuckerfest feiern, dabei Leichte Sprache sprechen und sich auf den Seitanbraten freuen, bleiben beizeiten Story und Spannungsbogen etwas auf der Strecke und die Zuhörer_innenschaft selten bei der Stange.

Nicht so jedoch bei „Luzie Libero und der süße Onkel“. Thema ist nicht, dass Luzie, obwohl sie ein Mädchen ist, stets mit ihrem Fußball unterwegs ist. Dass Tommy, obwohl er ein Mann ist, sich in einen anderen Mann verliebt und auch sonst manchen Kriterien hegemonialer Männlichkeit wenig entspricht, interessiert nicht. Beides wird als unhinterfragte Selbstverständlichkeit dargestellt. Stattdessen geht es um Luzies Eifersuchtsgefühle und ihren Umgang damit. Indem ausschließlich aus ihrer Perspektive erzählt wird, wird sie in ihrer als gleichberechtigt empfundenen, vielschichtigen Freundschaft zu Tommy erst genommen, ohne dabei auf gängige Bilder von Erwachsenen/Kind-Beziehungen zu rekurrieren, in denen Menschen im Kindergartenalter eigentlich nur eine einzige Bezugsperson namens „Mama“ haben. Dass auch Kinder ein Recht auf negative Emotionalität haben und diese Luzie nicht versucht wird auszureden, ist eine weitere begrüßenswerte Botschaft. Bei Lust an Überinterpretation kann ihr Missfallen an der plötzlichen Daueranwesenheit Günthers als eine Kritik an Paarnormativität gelesen werden. In jedem Fall wird gezeigt, wie sie in ihrem eigenen Tempo mit der neuen Situation umgeht und zum Ende als selbstbestimmte Akteurin eine passende Lösung für sich findet. Dass ausgerechnet wieder Fußball dabei eine derart symbolische Aufladung erfährt, mag ermüden. Dass Tommy bunt gemusterte Hemden trägt, im Kino weint und anscheinend Frisör und ein flippiger Vogel ist, wirkt in dem Wissen um gängige schwule Stereotype etwas klischeehaft. Indem ihm jedoch der langweilige Günther, der auch noch langweilig aussieht und eine hässliche Hose trägt, aber dafür vom Zehner springt und Fußball spielt, zur Seite gestellt wird, stehen diese unterschiedlichen Formen von Geschlechterperformance jedoch nicht in einem Bedeutungszusammenhang mit der Sexualität der beiden, sondern können als Darstellung der Bandbreite von Männlichkeiten interpretiert werden.

Sprachlich und bildlich ist das Buch der mutmaßlichen Zielgruppe von Menschen ab 4 Jahren angepasst. Die Sätze sind kurz. Die Bilder sind klar. Aus Luzies Perspektive erzählt wird eine Sprache gewählt, die als authentisch für ein Kind ihres Alters wirkt, ohne zu verniedlichen. Sie darf sogar „Verdammte Kackwürste!“ rufen. In den farbigen Bildern ist viel Bewegung und es gibt einige amüsante Details zu entdecken. Schade ist, dass bei der Vielzahl von Abbildungen nur einmal die Gelegenheit genutzt wird, eine Person Of Colour darzustellen und Menschen mit (sichtbarer) Behinderung überhaupt nicht vorkommen. Auch wenn es nicht wünschenswert ist, anhand einer Checkliste sämtliche gesellschaftliche Normen im zentralen Handlungsstrang abzuarbeiten, so wäre es doch erfrischend gewesen, wenn mit derselben lockeren Selbstverständlichkeit wie in Bezug auf Gender und Sexualität behandelt werden auch andere Kategorien zumindest im Hintergrund vorkämen und somit zu einer Sichtbarkeit dieser beigetragen würde.

Insgesamt ist „Luzie Libero und der süße Onkel“ eine erfreuliche Abwechslung im Kinderbuchregal. Ein cooles Mädchen als Hauptperson, unproblematisierte Homosexualität, die Vielfältigkeit von Beziehungen, ernstgenommene Kindergefühle und verdammte Kackwürste – da bleiben wenig Wünsche offen.

Quelle: kritisch-lesen.de